Zum wiederholten Mal beschäftigte sich die Dekanatskonferenz des Evangelisch-Lutherischen Dekanatsbezirks Passau mit dem Thema Missbrauch. Referentin war Schwester Marie Pasquale Reuver OSF, Diplom-Theologin, Pastoralreferentin und Autorin. Dekan Jochen Wilde (re) bedankt sich bei Ordensschwester Reuver (li) mit Passauer Spezialitäten für ihren Vortrag über spirituellen Missbrauch vor der Dekanatskonferenz im Evangelischen Zentrum.
Die Evangelische Kirche im Dekanat Passau beschäftigt sich immer wieder mit dem Thema Missbrauch. Mal in Form von Schulungen, um für das Thema zu sensibilisieren und aufzuklären, mal, um Schutzkonzepte im Dekanat, den Kirchengemeinden und evangelischen Einrichtungen zu erarbeiten, mal, um die Erkenntnisse aus der Missbrauchsstudie zu vertiefen oder zu erörtern, wie Missbrauchsfälle sinnvoll aufgearbeitet werden können. Am Montag, 22. September, war das Thema der Dekanatskonferenz im Evangelischen Zentrum: „Was hat unsere Theologie mit dem Thema (geistlicher) Missbrauch zu tun?”
„Es ist ein sensibles Thema und rührt am Selbstverständnis der Kirche“, betonte Dekan Jochen Wilde in seiner Einführung ins Thema. Es sei nicht leicht sich damit zu beschäftigen. Dabei seien die patriarchalen Götterbilder zu hinterfragen, inwieweit diese den Missbrauch begünstigen. Auch hier sei Prävention sehr wichtig.
Zu Beginn ihres Vortrags bekannte Franziskanerschwester Marie Pasquale Reuver den Pfarrer:innen des Dekanatsbezirks, dass sie selbst sexuell und geistlich missbraucht wurde. Sie wies darauf hin, dass die Zahl der Menschen, die mit unterschiedlichsten Missbrauchserfahrungen in die Kirche kommen, nicht zu unterschätzen sei.Den Seelsorger:innen gab sie deshalb zehn wichtige Tipps im Umgang mit Betroffenen mit auf den Weg. Die drei wichtigsten waren: „Nicht verstummen!“, „Das Unrecht benennen“ und „Sicherheit geben“. Überhaupt sei sensibel darauf zu achten, wie im kirchlichen Raum mit Betroffenen und über Missbrauch gesprochen wird.
Im zweiten Teil der Dekanatskonferenz wurde das Thema spiritueller Missbrauch behandelt. Ordensschwester Reuver berichtete dabei von ihren eigenen Erfahrungen mit Missbrauch als Novizin durch eine externe Person sowie von ihrem Weg aus der Abhängigkeit. Dabei ging es um Machtausübung und die Vorgabe einer bestimmten Form von Spiritualität. Diese sei jedoch vielfältig, von Mensch zu Mensch unterschiedlich und gleichwertig. „Spiritualität wird immer da gefährlich, wo Schwarz-Weiß-Denken vorherrscht und man so manipuliert wird, dass die eigene Ausgestaltung des Glaubens nicht mehr möglich ist“.
Schwester Reuver unterscheidet drei Stufen: die spirituelle Vernachlässigung, die spirituelle Manipulation und den spirituellen Missbrauch. Die Folgen können psychischer, körperlicher und seelischer Natur sein, beispielsweise in Form von Angststörungen, Schmerzen und Glaubensverlust. In diesem Zusammenhang blickt die Theologin kritisch auf junge Missionierungs- und Erneuerungsbewegungen, neue geistliche Gemeinschaften und christliche Influencer:innen. Gerade letztere hätten sich zunehmend rechtsradikalisiert und übten eine Art von „frommer Gewalt“ aus.
Text und Foto Hubert Mauch