Jedes Jahr verwandelt die Ärztin Dorothea Stock aus Reut ein Zimmer ihres Hauses in eine große Weihnachtskrippe – eine Welt voller Figuren, Geschichten und Symbolik. Im Gespräch erzählt sie, was ihr die Beschäftigung mit Krippen bedeutet. Ein Interview mit der Krippenbauerin von Pfarrer Christian Muschler aus Simbach am Inn.
Frau Dr. Stock, wie kam es zu Ihrem Interesse am Krippenbau?
Als junges Mädchen – ich war etwa dreizehn oder vierzehn Jahre alt – habe ich im Passauer Dom eine provenzalische Krippe gesehen. Ich war begeistert. Meine Frankophilie führte mich später immer wieder in die Provence. Dort habe ich die typischen Krippenfiguren – die Santons, die „kleinen Heiligen“ – für mich entdeckt. Da entstand der Wunsch, selber eine solche Krippen zu bauen. Als ich aber die Preise der Figuren sah, dachte ich zunächst, dass ich mir es nicht leisten könne, eine solche Krippe zu bauen. Dieser Wunsch schlummerte aber weiter in mir. Ich hatte dann aber bei einer Braunauer Krippenbauerin an einem Krippenbaukurs teilgenommen. So entstanden eine orientalische Krippe – sie orientiert sich an der Landschaft des Heiligen Landes - und eine Krippe im Stil der österreichischen Nagelschmiede. Doch dann haben mir Freunde zu meinem 60. Geburtstag eine Grundausstattung einer südfranzösischen Krippe geschenkt mit den dazugehörigen Santons und meinten: „Du gehst bald in Pension. Du magst gerne händisch arbeiten. Bau dir doch so eine Krippe…“ Und dann fing ich an, mich zu informieren, habe vieles gelesen, mich in einem Internetforum informiert und habe zu bauen begonnen: Einen Marktplatz mit einer Bäckerei und einem Krämerladen. Später kam eine Metzgerei dazu, dann ein Fischladen und ein Gemüseladen. So fügte sich eines zum anderen: Nachdem ich einen Gemüseladen hatte, dachte ich mir: Jetzt brauche ich einen Gärtner, der das Gemüse anbaut. 2015 habe ich dann die Krippe zum ersten Mal aufgestellt. Von Jahr zu Jahr ist sie gewachsen. Ich brauchte immer neuen Platz. Nun wird die Krippe im ehemaligen Wohnzimmer meiner Mutter bei uns im Haus aufgebaut. Es kommen dann Freunde, die helfen, jedes Jahr das Zimmer auszuräumen, und ich fange an, die Krippe aufzubauen. Da brauche ich schon einen ganzen Monat dazu …
Wie kann man sich den Aufbau einer so großen Krippe vorstellen?
Ich habe da ein festes System. Ich beginne ganz hinten und baue mich dann langsam vor. Da bedarf es schon einer gewissen Logistik. Die Vorbereitungen für die neue Krippe beginnen aber kurz, nachdem ich nach Lichtmess die Krippe abgebaut habe. Oft weiß ich schon, was ich noch ergänzen möchte. Und dann wird Neues gebaut. Das Allermeiste mache ich selber, auch das Elektrische. Als ich damals noch als Ärztin im Krankenhaus praktizierte, half mir das Bauen an neuen Krippenteilen, von meiner Berufstätigkeit abschalten zu können. Das handwerkliche Arbeiten bereitet mir zudem viel Spaß. Das zieht sich dann über das Jahr hin. Vieles lässt sich auch am besten im Sommer im Garten machen. Holzabschleifen zum Beispiel …
Ihre Krippe ist eine provenzialische Krippe. Was zeichnet sie aus?
In einer provenzialischen Krippe finden sich natürlich die bekannten Personen der Weihnachtsgeschichte: das Jesuskind, Maria und Josef, die Hirten und die Heiligen Drei Könige. Es finden sich in ihr aber außerdem viele Szenen aus dem Alltag eines provenzialischen Dorfes. Dazu gehören der Marktplatz, das Waschhaus, eine Kapelle mit Pfarrer, Bauernhöfe, eine Olivenmühle mit Esel, eine Windmühle mit Müller, Tänzer, die einen Volkstanz aufführen, oder auch ein Zirkus. In manchen provenzialischen Krippen finden sich auch das Meerufer mit Booten oder Salinen zur Salzgewinnung, eben alles was für Dörfer der Provence typisch ist. Mit dem Ziel, das ganze Dorfleben bei der Krippe unterzubringen, können dann große Krippenlandschaften entstehen. In manchen Kirchen dort sind in der Weihnachtszeit riesige Krippen zu sehen. Da arbeiten ganze Dorfgemeinschaften mit, um die Krippe in der Kirche aufzubauen.
Meines Wissens haben bestimmte Krippenfiguren auch eine symbolische Bedeutung.
Das ist richtig. So sollte es bei den Hirten einen Hirten in jüngerem, mittlerem und höherem Alter geben. Sie symbolisieren die Lebensalter. Bei den Heiligen Drei Königen ist es genauso. Tiere sollten eigentlich nicht schwarz sein. Daran halte ich mich bei meiner Krippe aber nicht ganz. Interessant ist, dass sowohl bei den österreichischen Nagelschmiedkrippen wie bei den provenzialischen Krippen sich ein blinder Mann findet, der von einem Kind geführt wird. Die Symbolsprache der Krippen ist wohl kulturübergreifend: Überall braucht es Menschen, die andere zum Licht führen.
Die Geschichte des Krippenbaus ist ja sehr bewegt…
Ja, in der Zeit der Aufklärung war in Europa vielerorts der Aufbau von Krippen in Kirchen untersagt. Sie galten wohl als zu kindlich. Der österreichische Kaiser Joseph II. zum Beispiel ließ sie verbieten. Dann haben die Menschen eben privat in ihren Wohnungen und Häusern Krippen aufgestellt. So entstanden in Österreich beispielsweise die Nagelschmiedkrippen. Die Nagelschmiede hatten in der Winterzeit weniger zu tun und haben für Privatpersonen die typischen Krippenkästen gebaut. Das Verbot der Krippen wurde aber in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aufgehoben. Die Volksfrömmigkeit hat sich durchgesetzt. Insofern hatte der Krippenbau durchaus etwas Subversives.
Worin liegt aus Ihrer Sicht das Faszinierende von Krippen?
Ich muss jetzt daran denken, wie es in früheren Zeiten in den Gottesdiensten war: Die Messen wurden auf Lateinisch gehalten. Die meisten Menschen haben nichts verstanden. Die Kirchen waren aber ausgemalt. So haben die Menschen die Bilder angeschaut und einen Zugang zur christlichen Botschaft gefunden. Ähnlich verhält es sich auch mit den Krippen. Dank der Figuren der Krippen haben die Menschen ihr Leben in der Weihnachtsgeschichte wiedergefunden: „Ich bin auch eine Bäckerin wie diese Bäckerin in der Krippe. Ich bin auch ein Holzfäller wie der Holzfäller in der Krippe“. Die Menschen haben sich ihren Platz in der Krippe gesucht und haben ihn gefunden. So bleibt die Weihnachtsgeschichte über die Zeiten hinweg aktuell. Ich muss in diesem Zusammenhang auch an das Motiv der Herbergssuche denken. Josef und die hochschwangere Maria werden abgewiesen und finden als Fremde in Bethlehem keinen Platz. Da findet sich unsere Zeit mit ihren Themen ganz offensichtlich in dieser Geschichte wieder.
Ich kann mir vorstellen, dass man beim Aufbau der Krippe auch innerlich beteiligt ist…
Obwohl ich mich nicht als fromm bezeichnen würde und meiner Kirche gegenüber durchaus kritisch eingestellt bin, verstehe ich mich als glaubender Mensch. Wenn man es zulässt, dann zieht einen diese Geschichte ganz in ihren Bann. Ich kenne tatsächlich keinen Krippenbauer, der in Distanz zu dieser Erzählung steht. Die intensive Beschäftigung mit der Weihnachtsgeschichte beim Krippenbau berührt mich in der Tat persönlich. Es ist wie bei einem Maler, der beim Schaffen seines Sujets ganz „drinnen“ ist. Ich denke, beim Krippenbau ist es ähnlich. Die Weihnachtsgeschichte holt einen ein. Man muss es nur zulassen.
Vielen Dank für das Gespräch.
Auf Nachfrage bei Frau Dr. Stock kann die Krippe besichtigt werden (Tel: 08572/7742)
