Mit einer Christvesper in der vollbesetzten Stadtpfarrkirche St. Matthäus begingen die evangelischen Christen in Passau den Heiligabend. Neben der Predigt von Dekan Jochen Wilde (li) standen Werke von Georg Friedrich Händel und Johann Sebastian Bach im Mittelpunkt. Für musikalische Gestaltung war Kirchenmusikdirektor Ralf Albert Franz (re)verantwortlich, Solist war Bernhard Forster (Mitte). Die traditionellen Weihnachtslieder „Stille Nacht, heilige Nacht“ und „Oh du fröhliche“ wurden von der Gemeinde kräftig mitgesungen.
Trotz zusätzlicher Bestuhlung fanden nicht alle Gottesdienstbesucher in der Stadtpfarrkirche einen Sitzplatz und mussten sich mit einem Stehplatz begnügen. Die Christvesper begann mit der „Pifa“ aus dem "Messias" von Georg Friedrich Händel. Ein fröhlich-verspielter Hinweis auf die Hirten der Weihnachtsgeschichte in der klanglich warmen Atmosphäre des Kammermusikensembles St. Matthäus.
Die Predigt war eingerahmt von Johann Sebastian Bachs ergreifendem „Ich steh an deiner Krippen hier“ aus dem Schemelli-Liederbuch und Händels getragenem, eher düsteren Accompagnato und einer Arie aus dem "Messias", die von Bassbariton Bernhard Forster, begleitet vom Kammermusikensemble und Ralf Albert Franz an der Orgel, beeindruckend intoniert wurde.
Dekan Wilde wünschte der Heiligabend-Gemeinde ein frohes und gesegnetes Weihnachtsfest.
„Fürchtet euch nicht! Denn euch ist heute der Heiland geboren“ war das Thema der Predigt von Dekan Jochen Wilde und stand im Zentrum der Christvesper. Nach Martin Luther sei das wichtigste Wort der Weihnachtsgeschichte das Wörtchen „euch“. Die Hirten fühlten sich durch das „euch“ aus dem Munde der Engel angesprochen. Sie schöpften Vertrauen, gewannen Selbstvertrauen, überwanden ihre Angst und machten sich auf den Weg, sagte Dekan Wilde. Er stellte immer wieder aktuelle Bezüge zu heutigen Situationen in Politik und Gesellschaft her. „Mit ‚euch‘ sind nicht nur die Hirten von damals gemeint, es gilt auch uns, auch wir sind gemeint, hier und heute!“
In diesem Jahr trifft die Weihnachtsgeschichte auf eine gesellschaftlich und politisch aufgeheizte Stimmung. Politiker haben durch gebrochene Versprechen viel Vertrauen verspielt. Viele Menschen sind verunsichert, fühlen sich nicht verstanden, übergangen und abgehängt. Vieles ist gefährdet und hinterlässt bei den Menschen Angst. Um damit produktiv umzugehen, sind Selbst- und Fremdvertrauen erforderlich, sage die Wissenschaft. „Mut zur Wahrheit” ergänzte Dekan Wilde.
„Weihnachten nimmt uns die Angst vor der Angst!“ Das Weihnachtsevangelium ist ein „Gamechanger“ und ein Manifest der Mitmenschlichkeit. Laut einer Studie ist die Fähigkeit des Menschen zum Mitgefühl für andere die Voraussetzung für Hilfe und Kooperation und damit der Pfeiler für Gesellschaft und Staat - auch wenn Evangelikale um den amerikanischen Vizepräsidenten J. D. Vance und den Milliardär Elon Musk das Gegenteil für ihre Zwecke behaupten.
Mit den Worten „Ich wünsche Ihnen ein frohes und gesegnetes Weihnachtsfest!“ entließ Dekan Jochen Wilde die Heiligabend-Gemeinde in die Weihnachtsnacht.
Text und Fotos: Hubert Mauch
