Karin Palten ist Mitglied der evangelischen Gemeinde St. Johannes in Passau und Mutter von Thomas, der im Jahr 2000 verstarb. Thomas hatte eine Behinderung und Karin Palten engagierte sich jahrzehntelang in der Lebenshilfe.
Jonathan Steensen: Aktion Mensch schreibt: „Inklusion bedeutet, dass jeder Mensch ganz natürlich dazu gehört. Inklusion ist, wenn alle mitmachen dürfen.“ Was denkst du dazu?
Karin Palten: Schöne Worte, aber da fehlt noch ganz viel. Das fängt schon an bei dem Wort „behindert“. Wer gibt uns das Recht zu sagen, dass wir normal sind?
Dieser Gedanke hat mich für´s Leben stark gemacht. Wir können alle jederzeit einen Unfall haben und selbst behindert sein. Man sollte den „behinderten“ Menschen einfach als Menschen sehen. In den letzten Jahrzehnten hat sich zwar schon viel verändert, aber im Kleinen fehlt‘s noch. Es braucht ein Miteinander! - Nicht Ausgrenzung.
Auch nicht „schwarz“ oder „weiß“ - Weißt du ob der liebe Gott weiß ist, oder braun ist oder rot oder gelb? Das weiß keiner. Und wenn wir daran einmal arbeiten würden... Das ist mein persönliches Anliegen, dass wir ein Miteinander machen. Daran fehlt’s, dass die Menschen bereit sind, bei ihren Mitmenschen zu akzeptieren: „Der ist halt jetzt mal anders.“
Mein Wunsch an die Umwelt ist wirklich: Die ham vom lieben Gott ein Hirn geschenkt bekommen, dann sollen sie es auch einsetzen. Ein wenig mehr miteinander, nicht gegeneinander! Das gilt im Kleinen wie im Großen, für die ganze Welt. Egal ob behindert oder krank. Den anderen helfen und nicht hoffen, dass es jemand anders macht.
Mein Sohn Thomas ist 2000 gestorben. Aber ich denke da an meine Freundin, die ihre Tochter nicht alleine zuhause lassen kann. Aber das bedenken andere nicht, die die Problematik nicht haben. Als ich einmal ins Krankenhaus musste, hat meine Freundin Rita mich angerufen und gesagt, sie nimmt Thomas so lange zu sich. Das sind Sachen, die ich nie vergessen werde. Ich habe Hilfe gehabt.
Den Menschen mit einem kranken Kind wünsche ich Mut und den anderen wünsche ich Verständnis, dann funktioniert‘s!
Jonathan Steensen: Was war Thomas für ein Mensch?
Karin Palten: Liebenswert, mit Humor und sehr hilfsbereit. Er hat einer alten Frau in den Zug geholfen, selbst wenn sie gar nicht rein wollte, wenn du verstehst, was ich meine. Und er war feinfühlig. Er war einer, der ganz genau gespürt hat, wie ihm andere begegnen und wen er als Gegenüber hat.
Jonathan Steensen: Du warst Jahrzehnte bei der Lebenshilfe engagiert?
Karin Palten: Mein Mann war in der Vorstandschaft, der hat das Geld zusammengehalten. Mich haben sie zur Heimbeiratsvorsitzenden auf Landesebene gewählt. Auf einige der Veränderungen, die wir erreichen konnten, bin ich stolz. Zum Beispiel, dass Eltern versichert sind, wenn das Kind nicht arbeiten gehen kann. Das war 1960/70 eine andere Zeit.
Jonathan Steensen: Es hat sich viel verändert.
Karin Palten: Ja, und es besteht immer noch viel Veränderungsbedarf. Wir müssen noch mehr aufeinander zugehen.
Und das ist nicht nur mit Behinderten so, sondern es gibt einen reichen Mann und es gibt einen armen Mann. Erst wenn der Reiche dem Armen hilft, kann es funktionieren. Der Stärkere muss dem Schwächeren helfen. Ich hab nicht viel, aber Weihnachten kriegt die Tafel von mir 50 Euro. Und wenn jetzt einer der 45 Milliarden hat, eine Million spenden würde - das würde viel bewirken.
Jonathan Steensen: Welche Rolle spiel für dich der Glaube?
Karin Palten: Eigentlich eine große Rolle. Den Halt muss man haben. Es ist der Glaube, der uns verbindet! Und nichts anderes. Glaube zeigt sich nicht nur darin, dass ich am Sonntag in die Kirche geh, sondern Glauben zeigt sich auch im Privaten.
Helfen ist für mich der Sinn vom Leben. Wenn mir der liebe Gott mehr gegeben hat - egal auf welche Art und Weise, gebe ich es gern weiter.
Und Verständnis haben. Und wenn’s Verständnis da ist, funktioniert’s.
Jonathan Steensen: Vielen Dank für das Interview, liebe Karin!
Interview von Pfarrer Dr. Jonathan Steensen mit Karin Palten übernommen aus dem Gemeindebrief St. Johannes, Passau, 01.08.2023